Titel: Experten fordern Berücksichtigung der Gelsenproblematik im Gesundheitswesen

Utl.:

Nachhaltige und multifunktionelle Strategien zur Verbesserung der Gelsenkontrolle bei Europäischer Fachtagung für Gesundheit in Klausenburg (Rumänien)

Text:

Experten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) haben beim ersten EU-Kongress zum Thema "Vernachlässigte Krankheitsüberträger (Vektoren) und "von Vektoren übertragene Krankheiten", die von 8. und 11. April in Klausenbeurg (Rumänien) stattfindet, einen Vortrag angemeldet. Dessen Kernaussage ist, dass die heimischen Stechmücken in den vergangenen Jahren und auch aktuell wesentliche, jedoch ignorierte Überträger von Krankheiten sind. Z. B. sind das das West Nil Virus und andere Vertreter der Japan-Encephalitis-Gruppe. Die wenigen bisher in Österreich nachgewiesenen südländischen Gelsenarten, die zwar in den Tropen als Überträger von Krankheiten wie Chikungunya-, Dengue- und West Nil-Viren, bekannt sind, sind hingegen hier zu Lande bisher hygienisch unbedeutend geblieben. Diese Aussagen basieren auf einer Österreichweiten Untersuchunsgsserie, die die AGES seit 2011 betreibt und auch auf früheren Arbeiten des Institutes für Virologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Zudem fließen Ergebnisse des Ökologen, Bernhard Seidel, ein, der den Erstnachweis von West Nil Viren aus überwinternden Hausgelsen in Eisenstadt (Burgenland) bereits im März 2004 ermöglichte.

Nachdem es bei dem Kongress thematisch um verkannte und ignorierte Vektoren (Überträger) geht und um die daraus hervorgehenden Krankheitserreger, geht es auch um vernachlässigte Maßnahmen und Projekte, in denen man versäumt hat, dem Wildwuchs von Gelsen als Vektoren über Jahre und Jahrzehnte Einhalt zu gebieten. In dem österreichischen Beitrag werden daher auch zwei von langer Hand vorbereitete und bereits mehrmals angewendete Kontrollstrategien vorgestellt, für die mehrere Faktoren sprechen. Die Methoden sind freundlich zur Natur, sie sind leistbar und nachhaltig. "Ziel einer erfolgreichen Gelsenkontrolle müssen nämlich mehrere methodische Ansätze sein, die man parallel und im optimalen Fall bereits vorab setzt und nicht erst, wenn Gelsenplagen unmittelbar drohen. Hat man etwa für integrierte Schädlingsbekämpfung im landwirtschaftlichen Anbau längst nach dem sogenannten Pull- und Push-Konzept Materialien und Methoden entwickelt, um Schädlinge sowohl zu vertreiben (push), als auch um diese irgendwohin hin zu locken (pull), so fehlt eine solche kombinierte Handhabe bei der Gelsenkontrolle. Nachdem ich jedoch bereits seit 2005 mit solchen Möglichkeiten operiere und diese 2008 auch veröffentlichte, werde ich diese Zweierstrategie für Gelsen der EU-Gesundheitsbehörde erneut vorschlagen!" so Dr.Seidel.

Als zweiter Ansatz wird der Europäischen Gesundheitsbehörde in Anlehnung an die von der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie verpflichtend vorgeschriebenen Fischwege vorgeschlagen, sämtliche Überflutungsflächen in Europa ökologisch auf Gelsen-Massenvermehrung hin zu inspizieren. Die Chancen, dass der Vorschlag positiv aufgenommen wird, sieht Seidel als sehr gut an, denn während es bei den ökologisch eher fragwürdigen Fischtreppen zur Umgehung von Barrieren, wie Staustufen von Kraftwerken, doch "nur" um eine nicht gänzlich nachvollziehbare Sache geht, nämlich Fische von fließendem Unterwasser in ein stagnierendes Staubecken mit Bodenfäule wandern zu lassen, geht es bei der bisher völlig unkontrollierten Gelsenmassenentwicklung in Überflutungsgebieten immerhin um menschliche Gesundheit und um Lebensqualität. Dass vielerorts diese Fischwege schon geplant und sogar schon umgesetzt sind, kritisiert der Ökologe insofern, weil sie in den seltensten Fällen multifunktionellen Zwecken dienen. Auf dem Gebiet der Flussdynamik gibt es schon seit vielen Jahren ein Konzept, das einer Fischaufstiegshilfe nicht nur sprachlich sondern vor allem ökologisch einen Kontrapunkt setzt, nämlich mit dem Begriff "Gelsenabstiegshilfe". Darunter sind Baumaßnahmen oder Aktionen zu verstehen, die unmittelbar nach Überschwemmungen zur raschen Absenkung von stehen gebliebenen Wasserflächen führen. Oft können wenige Dezimeter Niveauabsenkung im Hinterland von Überflutungsgebieten viele Hektar von flachen Wasserzonen trocken legen, in denen sich Stechmücken milliardenfach entwickeln können. An den seichten Stellen dieser riesigen Wasserflächen, ist ein rasches Abtrocknen wesentlich, bevor die Gelsen dort massenhaft schlüpfen.

Oft fehlen in solchen kurzzeitig zu Aulandschaften werdenden Landstrichen dann Abflüsse in Richtung des Flusses. Hier wurden immer wieder mit Baggern vorübergehend Schneisen gegraben, über die das Wasser abfließen kann. Dadurch sind die Stechmücken, was die Flächen für ihre Entwicklung angeht, eingeschränkt. Wenn man diese Gebiete nur zwei Tage früher trocken bekommt, dann erspart man sich das Ausbringen von Pestiziden, um die Gelsen zu reduzieren. Wird in Überflutungsgebieten schon mit teuren wasserbaulichen Projekten angefangen, sollten auch die gezielten Abflüsse aus allen potenziell überschwemmten Arealen mit angedacht werden. "In sehr vielen Gebieten ist so etwas möglich und man könnte zahlreiche Beispiele nennen, wo die Anbindung von "meiner" Gelsenabstiegshilfe mit den Vorhaben zu den Fischaufstiegshilfen sinnvoll ist!", sagt Seidel. Geschehe das nicht, bleibe dieses "Gelsenentwicklungswasser" unnötig lange stehen und Plagen sind unvermeidlich. Eine Gelsenabstiegshilfe muss nicht zwangsläufig mit einer Fischaufstiegshilfe verbunden werden, gelingt es jedoch für ein Fischweg-Vorhaben das beschriebene Gelsenkonzept einzubinden, könnte man laut Seidel auch Forschungsförderung beantragen, "weil es tatsächlich etwas Neues ist, bei dem auch noch experimentiert und optimiert werden kann".